Prozesskinetik
Von groBer Bedeutung fur die Beurteilung des Biogasproduktionsprozesses als auch fur das detaillierte Verstandnis der verschiedenen Vorgange beim Abbau or — ganischer Masse zu Biogas ist die Prozesskinetik. Sie setzt die Grenzen und cha — rakterisiert die Moglichkeiten der technischen Umsetzung des Prozesses.
Basis fur die Beschreibung der Prozesskinetik ist die Lebenstatigkeit der betei — ligten Mikroorganismen. Dabei lassen sich die komplexen Wechselwirkungen zwi — schen den verschiedenen am anaeroben Abbau beteiligten Organismengruppen heute noch nicht vollstandig formulieren. Vereinfachend kann aber davon ausge — gangen werden, dass der Substratabbau S pro Zeiteinheit (dt) von der zeitabhangi — gen Mikroorganismenkonzentration dX/dt und dem spezifischen Biomassezuwachs Y abhangt (Gleichung (16-1)), u. a. /16-8/).
dS _ dX / dt
~dt _ ~~Y
Die zeitabhangige Mikroorganismenkonzentration dX/dt wiederum kann nach Gleichung (16-2) aus der aktuellen Mikroorganismenkonzentration X und der ak — tuellen Wachstumsrate ц der Mikroorganismen berechnet werden. Die aktuelle Wachstumsrate ist dabei definiert durch die biologisch maximale Wachstumsrate ^max, die Substratkonzentration S und die Monod-Konstante kS (Gleichung (16-2)). Sowohl die maximale Wachstumsrate als auch die Monod-Konstante mussen expe — rimentell bestimmt werden.
Der Substratabbau selbst findet ublicherweise in kontinuierlich betriebenen Ruhrkesselreaktoren statt. Um unter diesen Bedingungen die beschriebenen Zu — sammenhange anzuwenden, muss zunachst eine Massenbilanz fur den stationaren Zustand des Reaktors aufgestellt werden. Ein derartiger stationarer Zustand ist dabei als optimal anzusehen, da unter diesen Bedingungen die prozessspezifisch ma — ximalen Umsatzraten erreicht werden konnen. Unter diesen Gegebenheiten gilt Gleichung (16-3) /16-8/.
v—S _ Qzu • Szu — Qb • S + V • rs _ о (16-3)
dt
Demnach entspricht die Substratmengenanderung dS in Abhangigkeit von der Zeit dt im Reaktionsvolumen V der Substratzufuhr, die sich aus dem zugefuhrten Volumenstrom Qzu und der Zulauf-Substratkonzentration Szu abzuglich des Sub — strataustrages ergibt. Letzterer setzt sich aus dem abgefuhrten Volumenstrom Qab und der Ablauf-Substratkonzentration S, die der Substratkonzentration S im Reak — tor entspricht, zuzuglich des abgebauten Substrates, das aus dem Reaktionsvolumen V und der Reaktionsrate rS resultiert, zusammen.
Die Reaktionsrate beim Stoffumsatz folgt nach heutigen Erkenntnissen fur alle einzelnen Teilschritte der anaeroben Umsetzung organischer Masse zu Methan und Kohlenstoffdioxid, die den zugrunde gelegten Bedingungen genugen, der beschrie — benen Monod-Kinetik. Vereinfachend wird die Reaktionskette deshalb nachfol — gend als ein einzelner Prozess dargestellt (vgl. /16-24/). Dies kann unter der An — nahme geschehen, dass ein Teilprozess, namlich der dargestellte Prozess, die Ge- schwindigkeit fur den Gesamtprozess bestimmt. Fur die Reaktionsrate rS gilt Glei — chung (16-4).
_ Mnjx • і
S Y kS + S
Zusatzlich kann ein dimensionsloser Hemmungsfaktor I eingefuhrt werden. Er beschreibt die in der Praxis nahezu immer vorhandene Abweichung des Ist — Zustandes vom Optimum und muss jeweils experimentell ermittelt werden.
Die genannten Zusammenhange konnen unter den folgenden Annahmen, die fur die meisten Reaktoren gelten, weiter zu einer Kinetik erster Ordnung vereinfacht werden.
— Die Monod-Konstante kS ist deutlich groBer als die Substratkonzentration im Zulauf Szu.
— Die Bakterienkonzentration X ist deutlich groBer als die Substratkonzentration im Zulauf Szu.
— Das Produkt aus Durchflussrate D (als Produkt aus Reaktionsvolumen V und Volumenstrom Qzu = Qab) und der Aufenthaltszeit в entspricht dem Wert 1.
Zusatzlich wird ein substratspezifischer k-Wert definiert, aus dem die Aufenthaltszeit, die notwendig ist, um einen bestimmten Abbaugrad zu erreichen, ermittelt werden kann. Er entspricht dem Quotienten aus der maximalen Wachstumsrate ^max und dem Produkt aus spezifischem Biomassezuwachs Y und Monod — Konstante kS. Unter diesen Bedingungen kann die Massenbilanz nach Gleichung (16-5) geschrieben werden. S0 ist dabei die Substratkonzentration des Zulaufs und St die vorhandene Konzentration des Substrats.
Q (S0 — St) — kS = 0 (16-5)
Gleichung (16-5) kann nach der Substratkonzentration im nachsten Zeitschritt St umgestellt werden (Gleichung (16-6)).
Die Differenz der Zulaufkonzentration S0 und der vorhandenen Substratkon- zentration St ist demnach gleich der abgebauten Substratmenge, die in Bakterien — biomasse und Biogas umgewandelt wird.
Auch wenn eine derartige Kinetik erster Ordnung nicht alle Prozesszustande im Detail abbilden kann, kann sie bei der uberschlagigen Dimensionierung von Bio — gasanlagen wertvolle Informationen liefern. Fur die Vergarung und insbesondere die Auslegung der technischen Einrichtungen anhand der diskutierten Zusammen — hange ist zu beachten, dass der Prozess im kontinuierlich betriebenen Ruhrkessel zwischen 5 und 8 d Aufenthaltszeit in den kritischen Bereich mit der Gefahr der Auswaschung gerat. Der Punkt mit der hochsten Raumbelastung (d. h. dem MaB fur die Belastung des Reaktors mit organischem Material), die stabil gefahren wer- den kann, ist der Punkt, an dem die Kapazitatsauslastung maximal ist und somit die volumenspezifische Gasproduktionsrate ihren groBten Wert annimmt. Der sub- stratspezifische Biogasertrag wird im Gegensatz dazu mit steigender Aufenthalts — zeit groBer (Abb. 16.2).
Fur Batch-Reaktoren, die in der Praxis zwar seltener, im Labor aber wegen ih — rer einfachen Handhabung haufiger eingesetzt werden, gelten — mit leichten An — passungen — ebenfalls die diskutierten Zusammenhange (Gleichung (16-7)) /16-8/.
dS = Amax S X
dt Y k + S
Abb. 16.2 Aufenthaltszeit, Raumbelastung, spezifischer Biogasertrag und Gasbildungsrate nach der Kinetik erster Ordnung fur einen Ruhrkesselreaktor (Inputsubstrat: 12 % TM (Trockenmasse), 80 % oTM (organische Trockenmasse), k = 0,1, Biogaspotenzial = 0,34 l/g oTM)
Demnach ist der anaerobe Abbau — vergleichbar zu Gleichung (16-1) und (16-4) — von der Reaktionsrate rS (vgl. Gleichung (16-4) und der Mikroorganis- menkonzentration X abhangig.
Diese hier dargestellte Kinetik kann unter den folgenden Annahmen weiter ver — einfacht werden.
— Die Monod-Konstante kS ist deutlich groBer als die Substratkonzentration im Zulauf Szu.
— Die Bakterienkonzentration X ist deutlich groBer als die Substratkonzentration im Zulauf Szu.
— Der k-Wert entspricht dem Quotienten aus der maximalen Wachstumsrate ^max und dem Produkt aus spezifischem Biomassezuwachs Y und Monod-Konstante ks.
Ausgehend von diesen meist gultigen Annahmen vereinfacht sich Gleichung (16-7) fur diskontinuierliche Reaktoren zu Gleichung (16-8). Demnach ist der anaerobe Abbau durch die Monod-Konstante ks und die Substratkonzentration S im Fermenter definiert.
dS=-ksS (16-8)
dt
Nach erfolgter Integration ergibt sich der in Gleichung (16-9) gezeigte Zusam — menhang.
St = S0 • e ks‘ (16-9)
Folglich kann die vorhandene Konzentration des Substrats St durch die Sub- stratkonzentration des Zulaufs S0, der Monod-Konstante kS und der Verweilzeit t beschrieben werden.
Stellt man den hier diskutierten Substratabbau von diskontinuierlich (d. h. Batch-Betrieb) und kontinuierlich betriebenen Reaktoren vergleichend gegenuber, ergibt sich das in Abb. 16.3 dargestellte Verhalten. Folglich konnen Reaktoren im Batch-Betrieb den maximalen Gasertrag in kurzester Zeit erzielen, da keine Aus — waschung von Substrat bzw. Biomasse eintritt.
Werden mehrere Ruhrkesselreaktoren in Reihe geschaltet, kann mehr Substrat als in einem Einzelreaktor mit gleichem Volumen umgesetzt werden, da sich in den ersten Reaktoren eine hohere Substratkonzentration einstellt; somit wird ins — gesamt eine hohere Reaktionsrate erreicht. Je mehr Reaktoren in Reihe geschaltet werden, desto mehr nahert sich die Kurve der des Batch-Reaktors an. Der Abbau- prozess in echten Pfropfenstromreaktoren zeigt ein kinetisches Verhalten, das dem des Batch-Reaktors entspricht; zu beachten ist dabei aber, dass ein echter Pfrop — fenstrom ohne Zonenvermischung im praktischen Betrieb nur sehr schwer zu errei — chen ist.
Der zeitliche Verlauf des Substratabbaus hangt jedoch nicht nur vom Reaktor — design, sondern auch vom Substrat ab. Und da die Abbaugeschwindigkeiten ver — schiedener Substrate erheblich differieren konnen, hat dies einen groBen Einfluss auf die definierten Konstanten und damit auch auf den erreichbaren Abbaugrad.
Abb. 16.4 zeigt deshalb den Zusammenhang von erreichbarem Abbaugrad und Aufenthaltszeit fur zwei Substrate mit einem unterschiedlichen k-Wert. Da die Aufenthaltszeit direkt von der notwendigen BehaltergroBe und damit der Kapazi-
Abb. 16.3 Substratabbau in verschiedenen Fermentertypen |
Abb. 16.4 Verlauf des Substratabbaus verschiedener Substrate in einem Ruhrkessel mit k-Werten von 0,1 bzw. 0,2 (Kinetik erster Ordnung) |
tatsauslastung abhangt, sind die kinetischen Abbaueigenschaften des Substrates ei — ne wesentliche GroBe, die bei der Anlagenbemessung berucksichtigt werden muss.
Je nach der Abbaucharakteristik kann beispielsweise bei dem leichter abbauba — ren Substrat mit dem k-Wert von 0,2 innerhalb einer Aufenthaltszeit von durch — schnittlich 29 T agen bereits ein 85 %-iger Abbau der organischen Substanz erwar — tet werden (Abb. 16.4). Bei dem Substrat mit dem k-Wert von 0,1 ist nach der glei — cher Aufenthaltszeit nur ein Abbau von 74 % zu erwarten. Mit zunehmender Auf — enthaltszeit sind grundsatzlich hohere Werte erreichbar, die sich ublicherweise im — mer weiter aneinander annahern. Mithilfe derartiger Uberlegungen kann eine An — lage im Hinblick auf den gewunschten Abbaugrad der Substrate und eine tolerier — bare Aufenthaltszeit sowie die damit verbundenen Investitionen optimiert werden.